Die Video-Skizze einer frühmorgendlichen Autofahrt über den Brenner wird zu einem Symbolbild zu Mariä Lichtmess.
Was hat das denn nun mit einem evangelischen Gottesdienst im frühen Dunkel das ersten Februar- Sonntags 2021 zu tun? Eigentlich sehr wenig – und doch ist auch diese in der katholischen Kirche zum Festtag erhobenen Geschichte Teil der biblischen Verkündigung, die alle christlichen Kirchen und Gemeinden als Teil ihrer überlieferten geistlichen Grundlage betrachten.
Simeon – ein Greis erlebt die Erfüllung einer Glaubens-Zusage, die ihm lange zuvor zuteil wurde, nämlich dass er den Messias, auf den Jesaja hinweist, noch zu seinen Lebzeiten sehen wird. Und er hält den Säugling Jesus in seinen Armen und begreift, dass dies der verheißene Retter, der Messias und Christus ist. Er lobt Gott und weissagt Jesu Eltern, im besonderen seiner Mutter Maria, die an dem Tag einen Ritus der Reinigung nach dem mosaischen Gesetz im Tempel empfängt, wer Jesus für Israel und die Welt sein wird. Dies ohne den Schmerz, der mit dem Tod am Kreuz verbunden ist, unerwähnt zu lassen. Der Greis Simeon bezeichnete Jesus als das „Licht zur Erleuchtung der Heiden“
Lichterprozession und Kerzenweihe wurden später kirchliche Tradition. Und das fand in diesem Kunst-Gottesdienst einen Widerschein auf gänzlich andere Weise:
Das 9-Minuten Video hat zunächst so gar nichts mit den heiligen Momenten der biblischen Überlieferung zu tun. Christian Hörl ist früh morgens unterwegs zur Biennale in Venedig und hat die Bordkamera, die eher mäßig gute Bilder liefert, nach vorne gerichtet. Im Radio läuft ein italienischer Sender, in dem litaneiartiger Gesang zu Ehren Marias zu hören ist (laut gebeteter Rosenkranz). Er hat den Brenner erreicht und fährt bald auf der italienischen Seite hinab. Das trübe Dämmerlicht wechselt auf der Südseite zur aufgehenden Sonne, die genau dann voll hereinbricht, als die Schranke der Mautstation öffnet und der Lobgesang im Radio auf einen jubelnden Höhepunkt zusteuert: „Ave Maria!“ – gegrüßet seist Du Maria – “Halleluja!”
Weder inszeniert noch planbar war dieses Zusammentreffen von Licht-Ereignissen in Christian Hörls Werk „Radio Maria“. Die Fotos (video stills), die im Gottesdienst von der Leinwand gemacht wurden, verstärkt durch die Altarkerze, die jeweils im Vordergrund steht, zeigen die Hinführung zum Licht-Höhepunkt am Ende. So berührend können „zufällige“ Ereignisse sein.
An Worten war dem wenig hinzuzufügen – das Licht war bei den über 20 Corona- maskierten Gottesdienstbesuchern angekommen. Jesus Christus vor seiner öffentlichen Wirkungszeit im Arm des glückseligen Simeon und im Herzen der Menschen in der Lindauer Kirche St. Stephan.
(Text von Tilmann Wolf, Scheidegg)