Angelika Flaig erklärt die Bilder zu HIOB

Am Sonntag, den 8.August, fand ein außergewöhnlicher Kunstgottesdienst in St. Stephan statt: Die Künstlerin ANGELIKA FLAIG hatte extra die 700 km lange Anreise unternommen, um persönlich anwesend sein zu können. So konnten alle im Laufe der letzten Wochen und Monate aufgetauchten Fragen zu den ausgestellten Arbeiten beantwortet werden. 

Die erfreulich vielen Gottesdienst-Besucher merkten bald, dass der gewohnte Ablauf etwas anders war: sie konnten sich an diesem Abend nicht nur mit den umgebenden Bildern und den Texten zu HIOB auseinandersetzen, die Urlauberpfarrerin Petzold feinfühlig ausgewählt hatte (Lesung aus dem Buch HIOB, Kapitel 19). Sie erhielten nämlich authentische Informationen direkt von der Künstlerin. In einem Interview, das Uta Weik-Hamann von den „Kunstfreunden Lindau“ führte, präzisierte Angelika Flaig ihre tiefen Gedanken und Intentionen zu den Bildern.

Und plötzlich werden die abstrakten Grafiken lesbar und in ihrer Abfolge schlüssig, die grausame Geschichte Hiobs deutlich und es wird auch klar, warum diese Grafiken nur ohne Buntfarbigkeit wirken. Das Thema heißt nämlich eigentlich

Schwarz-Weiß 

„Wie lange plagt ihr meine Seele und peinigt mich mit Worten?“, fragt HIOB seine Freunde, die mit ihm darüber reden – ja: diskutieren – wo denn die Ursache liegen könnte, dass HIOB seine schweren lebensbedrohlichen Leiden erdulden muss. Verzweifelt ringen sie darum, die Wahrheit zu finden. Und sie sehen nur „richtig“ oder „falsch“ – „schwarz“ oder „weiß“. Die Suche nach der Wahrheit wir zur Qual für HIOB, so dass er voller Zorn die eingangs zitierten Worte ausruft. 

Schwarz-weiß sind auch die Arbeiten von Angelika Flaig; Schwarz-weiß, wie die Buchstaben einer Schrift in aller Regel dargestellt werden, so erläutert die Künstlerin den Verzicht auf Farbe. Die Schrift ist Träger der Wahrheit – so die vielfache Überzeugung, die heute in besonderem Maße in den elektronischen Medien ad absurdum geführt wird. 

Genauso ringen wir heute um die Wahrheit – insbesondere dann, wenn der allgemeine Wohlfühlraum zerbricht, wenn überraschende Ereignisse den geregelten Alltag jäh unterbrechen.

Eine der beispielhaft besprochenen Arbeiten (3.Bild v.l.) zeigt eben dieses Suchen: Eine Person, die im Dunkel verschwindet, sucht mit Hilfe einer Stableuchte nach der im chaotisch verwirrten Text versteckten Wahrheit. Je nach Standpunkt des Betrachters sind direkt dahinter die Evangelisten im Glasbild des Kirchenfensters zu sehen – und das ist so gewollt … 

Die Dualität „schwarz-weiß“ in deren Bedeutung von gut und böse, richtig und falsch, Orientierung ermöglichend oder verwehrend, belebend und zerstörend – sie findet sich in den Engeln des Lichts und der Finsternis. Angelika Flaig sieht ihre grafischen Arbeiten in Bezug zu den expressiven Texten der Bibel oder auch eines Ivan Goll, der während des ersten Weltkriegs u.a. folgende Verse niederschrieb: 

Vergebens in Versammlungsreden Verlangten wir das Licht für jeden. Nun sagen sie, beim Brudermorden Sei’n wir zu guten Bürgern worden, Und gönnen uns den Ruhm der Narren, Dieweil sie Massengräber scharren.“ 

Ein weiteres Bild, in dem Christus nackt dargestellt ist, hat verschiedene Bezüge: 

Inspiriert vom japanischen Butoh-Tanz, der Tabu-Themen wie Krankheit, Tod, Elend durch (fast) nackte Tänzer darstellt verweist Angelika Flaig an die Aussage im Buch Hiob 1,21  „Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der HERR hat’s gegeben, der HERR hat’s genommen; der Name des HERRN sei gelobt!“, aber auch an die Pressefotos, in denen im Irakkrieg Kriegsgefangene in menschenverachtender Weise nackt vorgeführt wurden. Nicht zuletzt wurde Jesus bei der Kreuzigung nahezu vollständig seiner Kleider beraubt. 

Im Bild mit dem Lyra-spielenden Engel und einem Text von Heinrich Aldegrever (ca. 1550) öffnet sich für Angelika Flaig die Tür zur Hoffnung, die sich in HIOB 42 erfüllt: Und Hiob antwortete dem HERRN und sprach: Ich erkenne, dass du alles vermagst, und nichts, das du dir vorgenommen, ist dir zu schwer.  »Wer ist der, der den Ratschluss verhüllt mit Worten ohne Verstand?« Darum hab ich ohne Einsicht geredet, was mir zu hoch ist und ich nicht verstehe. »So höre nun, lass mich reden; ich will dich fragen, lehre mich!« Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen. Darum gebe ich auf und bereue in Staub und Asche. Und der HERR wandte das Geschick Hiobs, als er für seine Freunde bat. Und der HERR gab Hiob doppelt so viel, wie er gehabt hatte.